
Smart Mobility: Das Fahrrad ist heute längst mehr als nur Mittel zur Fortbewegung, es ist Teil eines nachhaltigen, gesundheitsbewussten Lifestyles geworden – „Vélorution” sei Dank.
„Jo, mia san mit’m Radl do!” Vertraut man aktuellen Statistiken, können das immer mehr Österreicher von sich behaupten. Immerhin jeder Dritte gibt an, sich mehrmals pro Woche auf den Sattel zu schwingen. Doch längst sind es nicht mehr nur Studenten, Ökos und Liebhaber, die sich ihr Traumgefährt in der eigenen Werkstatt zusammenbasteln. Im Gegenteil: Radfahren ist wieder in, und das hat nicht nur rein praktische Gründe.
Ein urbanes Phänomen: die Radfahr-Renaissance
Vom Fortbewegungsmittel der Arbeiterklasse über ein Sportgerät für Fitnessbegeisterte bis hin zum Lifestyle-Objekt hat das Fahrrad eine erstaunliche Karriere hingelegt. In den 1990er-Jahren von New Yorker Radkurieren angestoßen, hat die Velokultur in den 2010er-Jahren in
so gut wie allen europäischen Großstädten Einzug gehalten. Ob in Amsterdam, Kopenhagen oder London mit seinen „Cycle-Superhighways“: Überall stürzen sich Radfahrer ins Verkehrsgetümmel und treffen sich sogar zu gemeinschaftlichen Ausfahrten wie dem
„London Tweed Run“, einem Fixtermin für Vintageräder-Fans. In den urbanen Ballungsräumen stellt das In-die-Pedale-Treten ein neues Lebensgefühl dar. Denn auf dem Zweirad „erfährt“ man die Stadt viel unmittelbarer als in der isolierten kleinen Blase seines Autos. So weht einem am Sattel nicht nur der Fahrtwind, sondern auch ein ungeahntes Gefühl von Freiheit um die Nase. Man ist aktiv, flexibler und – zumindest auf Kurzstrecken – schneller am Ziel. Ganz ohne Lärm- und Luftverschmutzung. Das Auto? Uncool, wenn es nach den Jungen geht. Seit 2015 stagniert die Anzahl der ausgestellten Führerscheine in Österreich.
Raus aus dem Pendler-Hamsterrad, rauf aufs E-Bike!
Hierzulande heißen die Radfahr-Hochburgen Graz, Salzburg, Wien und Innsbruck – und auch wenn die Szene bei weitem noch nicht so organisiert ist wie andernorts, wächst sie doch beständig. Nicht zuletzt dank E-Bikes, die es auch Anzugträgern ermöglichen, frisch und unverschwitzt vor der Firma abzusteigen. Selbst längere Strecken sind damit leicht zurückzulegen. Im besten Fall wird das Business-Radeln vom Arbeitgeber durch Duschen, Umkleiden, Abstellplätze und immer öfter auch „Firmenbikes“ gefördert. Doch die öffentlichen Verkehrsplaner sind ebenfalls gefragt, um der wachsenden Masse an Radfahrern Herr zu werden: Radwege und Radfahrstreifen müssen eingerichtet, Kreuzungen sicherer gestaltet und der Radverkehr sinnvoll mit dem Öffi-Angebot verknüpft werden.
Platzsparende Faltfahrräder etwa lassen sich in Bus und Bahn unter den Arm klemmen und überbrücken so die letzte Distanz von der Haltestelle zum Büro. In den Niederlanden sollen Pendler, die vom Auto aufs Rad umsteigen, demnächst sogar von ihrem Arbeitgeber bezahlt werden, wenn es nach der amtierenden Staatsekretärin für Infrastruktur geht. Als eine Mobilitätsform der Zukunft soll das Rad fest im Alltag verankert werden. Neben E-Bikes erleben daher auch Lastenräder einen Aufschwung, die buchstäblich Kind und Kegel
transportieren können.
Rad-Mobilität meets Individualisierung
Für jedes Bedürfnis, so scheint es, hält der Fachhandel das passende Vehikel bereit. Im Jahr 2017 wurden in Österreich 423.000 Fahrräder verkauft und durchschnittlich 660 Euro für das neue Bike hingelegt. Der Hype um Sport- und Rennräder ist bereits älter; nun hat er auch
Alltags- und Stadträder erfasst. Gefragt sind aber nicht nur nagelneu blitzende Luxusgefährte, sondern auch Vintage-Räder ohne viel technischen Schnickschnack. Da wird dann etwa auch mal das alte Puch-Waffenrad des Opas liebevoll restauriert. Der Trend geht
eindeutig in Richtung Individualisierung, und die lässt man(n) sich gerne etwas kosten: Die Selbstinszenierung im Radsattel ist nämlich überwiegend jung, männlich und Teil der gebildeten Mittelschicht. Das Rad hat das Auto in seiner Rolle als „erweitertes Ich“ abgelöst
und ist zum Ausdrucksmittel des individuellen Lebensstils geworden. Ein Rahmen aus ultraleichtem Carbon, umweltbewusstem Bambus oder mit integriertem E-Akku? Zeig mir dein Rad und ich sag dir, wer du bist!
Der Cycle-Chic als wachsendes Business
Ein derart liebgewonnenes Prestigeobjekt, zu dem durchaus eine emotionale Beziehung besteht, wird folglich nicht mehr im Radkeller versteckt, sondern etwa an der Wohnzimmerwand hängend inszeniert. Auch auf den urbanen Radwegen ist die Fortbewegung auf zwei Rädern eine Frage des Sehen-und-Gesehen-Werdens, wie Accessoires wie Office-taugliche Fahrradrucksäcke aus feinstem Leder beweisen. Radfahren als das Flanieren des 21. Jahrhunderts? Wohl nicht umsonst taufte das französische Modehaus Hermès sein 2013 herausgegebenes Fahrrad „Le Flâneur“. Richtig gelesen: Auch die Modewelt hat sich mittlerweile der Ausstattung der neuen Radfahrer-Generation angenommen. Bye-bye Radlershorts aus Elasthan! Der heutigen Bike-Fashion sieht man ihre wetterfeste Funktionalität kaum an. So brachte beispielsweise H&M gemeinsam mit der Brit-Marke Brick Lane Bikes eine Fahrradmode-Kollektion heraus. Doch meist sind es Spezialgeschäfte, in die es die Cycle-Chic-Szene auf der Suche nach Nischenprodukten verschlägt. Dort erfüllt man sich Sonderwünsche, lernt in Reparaturkursen neue Kniffe – und frönt neben seiner Leidenschaft auch noch dem Genuss, denn viele der Start-ups sind
zugleich hippe Cafés. Der Kulturwandel vom Auto zum Rad macht sich deshalb nicht nur auf den Verkehrswegen, sondern auch im Stadtbild bemerkbar. Und hat so das Potenzial, das Leben in den Städten auf mehrere Arten nachhaltig zu verändern.